Am 18. August 1946 kamen Simon und seine Angehörige in der grenznahen Stadt Hof in Franken/Bayern in ein Lager, das eigens eingerichtet war für heimatlose Flüchtlinge, für sog. „Displaced Persons“ (DP). Für die Hilfsorganisation der Vereinten Nationen (UNRA) war der Ansturm von fast 200.000 jüdischen Flüchtlingen eine gewaltige Herausforderung. Bis Mitte 1947 waren knapp 800 DP-Lager in den westlichen Besatzungszonen etabliert, die von nun an durch die IRO (International Refugee Organization) betreut wurden. Für die jüdischen Flüchtlinge wurden eigens Lager eingerichtet, um die sich in besonderer Weise jüdisch-amerikanische Hilfsorganisationen wie das „Joint“ (American Jewish Joint Distribution Committee) kümmerten.
Da sich auf der Flucht in den Westen die Wege der Großfamilie trennten und fanden sie sich in unterschiedlichen Auffanglagern wieder. Simons Schwager Nissel Snajdman kam in das Lager Hasenhecke bei Kassel, wo seine Tochter Brucha am 25.11.1946 geboren wurde. Simons Bruder Zwi Chaikel und Frau Hannah wurden am 30.9.46 im DP Lager Pocking Waldstadt (Pine City) bei Passau untergebracht. Am 02.04.1947 wurde dort deren Sohn Joseph geboren. Das Lager Hof wurde im Herbst 1948 aufgelöst. Zuletzt waren Luba, Simon und Nissel Chaikel in dem DP-Lager Lechfeld bei Augsburg registriert. |
Lager Hof |
Sie befanden sich von nun an immer in Camps, in denen sich durch die Schaffung einer entsprechenden Infrastruktur ein in der osteuropäischen jiddischen Tradition verhaftetes kulturelles Leben wieder frei entfalten konnten. Neben einer Synagoge gab es ein Ritualbad (Mikwe), eine Talmud Torah Schule (Cheder), einen Kindergarten, eine Volks- und Berufsschule und eine Bibliothek. Koscheres Essen wurde angeboten. Jüdische Sportclubs, Theaterveranstaltungen und eine Lagerzeitung rundeten das Kultur- und Freizeitangebot ab. Lagerbewohnern bestimmten ihre eigenen Selbstvertretungs-Komitees. Simon berichtete, dass ihnen alle Dinge des täglichen Bedarfs geliefert wurden. Sie konnten sich frei bewegen und das Lager jederzeit verlassen. Auf Fotos, die in dieser Zeit entstanden, ist Simons Kleinfamilie in gepflegter Kleidung zu sehen.
Trotz aller Annehmlichkeiten, sollte dieser Ort nur eine Durchgangsstation auf dem Weg in eine neue Heimat bleiben. Auf fast allen Karteikarten der Familien Chaikel und Snajdman stand als Wunschziel Palästina. Da England und die USA eine restriktive Einwanderungspolitik betrieben, mussten Simon und alle seine Angehörigen zusammen mit etwa einer ViertelmillionLager-Insassen mehr als vier Jahre warten, bis Ihnen die Möglichkeit gegeben wurde, irgendwo in der Welt ein neues Leben zu beginnen.
Die Gründung des Staates Israel im Mai 1948 veränderte die Situation. Im ersten Jahr der Staatsgründung trafen mehr als 100.000 jüdische Neueinwanderer in Israel ein; Ende 1951 waren es beinahe 700.000. Für Zwi Chaikel mit Frau und Sohn und Libbys Eltern mit drei ihrer sieben Kinder ging 1949 so auch dieser Wunsch in Erfüllung. Kurz nach der Ankunft mussten sie feststellen, dass es den erwarteten europäischen Lebensstandard in dem jungen Staat Israel nicht gab. Sie fanden sich einem wenig entwickelt Land wieder, das zeitgleich auch noch Krisengebiet war. Angesichts dieser schwierigen Lebensbedingungen zog es sie nach und nach alle in die USA bzw. nach Kanada.
Nach der Lockerung der US-amerikanischen Einwanderungspolitik wurden am 22.4.1950 Simon Chaikel mit Frau Libby und Sohn Nissel die Einreise in die USA genehmigt. Am 2. Januar 1951 immigrierte die junge Familie von Bremerhaven aus auf dem Transportschiff der amerikanischen Marine, USS General Howze, in die Vereinigten Staaten. Der mit ihrer Tochter Annie schwangeren Libby soll es während der Überfahrt gesundheitlich nicht gut gegangen sein, berichtete Simon.Libbys älteste Schwester Fajga Mindelson mit ihrer in Russland geborenen Tochter Etta Mindelson reisten zeitgleich auf dem amerikanischen Truppentransporter USS General Stewart in die USA. Für Fajgas späterer Ehemann Zalek Popiel startete die Überfahrt am 16.4.1951 auf dem Kriegsschiff USS General Blatchford. |
Neil Chaikel, Jan 1951, Ankunft in den USA auf dem Schiff USS General Howze |
Simons über zehnjährige Oyssee war mit der Ankunft in den den USA glücklich zu Ende. Er und seine Familie begaben sich zunächst zu Verwandten in New York, die allerdings nicht sehr vermögend waren und sie wenig unterstützen konnten. Dank seiner Berufsausbildung als Schneider fand Simon rasch Arbeit in einer Kleiderfabrik und schaffte es allmählich zu bescheidenem Wohlstand. Die Familie wuchs um weitere zwei Kinder: Annie und Joseph. Ab 25. April 1955 waren alle Familienmitglieder Bürger der Vereinigten Staaten. Von ihren drei Kindern haben Simon und Libby mehrere Enkelkinder darunter auch Jaime und Ben. |
Am 09.07.2002 starb nach einem erfüllten Leben Simon Chaikel im Alter von 81 Jahren in Fort Lauderdale, Florida.