Erwin Kifferle und Lucy Kahn (Teil 1)

Erwin Kifferle und Lucy Kahn  im Saarland –  Zwischenkriegszeit

Erwin Kifferle war der Letztgeborene und einzige Junge unter den sechs Geschwistern unserer schwäbischen Großmutter mütterlicherseits Friederike Kifferle aus Freudenstein bei Maulbronn. Erwin, geb. 1905, folgte als junger Mann der „großen Schwester“ Friederike ins vom Deutschen Reich abgetrennte Saargebiet, wo er sich in Brebach bei Saarbrücken als selbständiger Friseurmeister niederließ.

 

Dort lernte er die fünf Jahre ältere Schneidermeisterin Louise „Lucy“ Kahn kennen, die er 1930 heiratete.

Lucy Kahn, geboren in Schalke-Gelsenkirchen, hatte jüdische Vorfahren. Ihre Eltern, Leopold Kahn und Clara Weber, stammten von jüdischen Familien ab, die über mehrere Generationen im Raum Mayen-Andernach ansässig waren. Als Lucy ein Jahr und ihr Bruder Julius zwei Jahre alt waren, starb ihr Vater Leopold, der von Beruf Bäckermeister war. Ihre Mutter Clara heiratete wenige Jahre später Karl Herzberg, mit dem sie den gemeinsamen Sohn Max (geb. 1909) hatte. Max Herzberg lebte als junger Mann in Dudweiler/Saar und war Trauzeuge bei Lucys und Erwins Hochzeit 1930.

Die politischen Verhältnisse im Saargebiet

Nach dem verlorenen ersten Weltkrieg wurde gemäß den Vereinbarungen des Versailler Vertrages das Saargebiet 1920 aus dem Deutschen Reich herausgelöst und als Mandatsgebiet des Völkerbundes unter französische Verwaltung gestellt. Nach 15 Jahren sollte die saarländische Bevölkerung über ihre zukünftige Staatszugehörigkeit abstimmen.

Die Saarregion war neben dem Ruhrgebiet und Oberschlesien, das dem Reich teilweise auch verloren ging, eines der wichtigsten Industriegebiete Deutschlands. Neben den fünf Eisenhütten bzw. Stahlwerken gab es zahlreiche Kohlengruben an der Saar. Die Abtretung des Saarreviers an Frankreich war als Reparationsleistung   für entstandene Kriegsschäden gedacht. Es geriet wirtschaftlich und politisch völlig in die Abhängigkeit Frankreichs. Mit der Gründung französischer Schulen versuchten die Franzosen auch einen kulturellen Wandel herbeizuführen. Nicht zuletzt durch die Präsenz französischer Kolonialgruppen aus Nordafrika wurden die Franzosen von der vorwiegend deutschen Bevölkerung als Besatzer, Ausbeuter und Unterdrücker empfunden. Schon Mitte der 20er Jahre kam es zu Unmutsbekundungen und Demonstrationen mit der Forderung zu einer Angliederung an das Deutsche Reich. Vertragsgemäß fand am 13. Januar 1935 eine Volksabstimmung statt, bei der über 90 % der Saarländer für den Anschluss an das Deutsche Reich stimmten, in dem seit 1933 Adolf Hitler an der Macht war. Am 1. März 1935 hielt „der Führer“ einen triumphalen Einzug in Saarbrücken. Von nun an gaben im Saargebiet die Nationalsozilisten den Ton an.

Kurz vor dem Anschluss des Saargebiets an das Reich drangen ausländische jüdische Organisationen darauf, dass der Völkerbund in Genf in Absprache mit der deutschen Reichsregierung den Juden an der Saar Sicherheitsgarantien gewährte. Diese wurden vertraglich im sog.  „Römischen Abkommen“ vom 3. Dezember 1934 von den beiden vertragsschließenden Parteien zugesagt. So durften die Einwohner des Saarlandes für die Dauer eines Jahres bis zum 1.4.1936 ungehindert das Land verlassen. Gut die Hälfte der saarländischen Juden machte von dieser Regelung Gebrauch.

Erwin und Lucy bemerkten, dass bereits nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Reich im Saarland eine antisemitische Stimmung aufkam. Es gab Aufrufe zum Boykott jüdischer Geschäfte, die von den zuständigen Behörden auch nicht unterbunden wurden. Die beiden fühlten sich zunehmend unwohl.

Diese und andere Repressalien führten dazu, dass bei ihnen die Bereitschaft wuchs, das Saarland zu verlassen. Ihnen wurde klar, dass die nach dem Anschluss geltenden sog. Nürnberger Gesetze für sie eine ernste Bedrohung darstellten. Von den knapp 5000 Juden, die 1933 noch im Saargebiet lebten, verließen bis 1939 ca. 90 % ihre Heimat. Auch Erwin und Lucy Kifferle sahen in der Emigration die einzige Möglichkeit, der Verfolgung und Vernichtung zu entgehen. Sie verkauften 1935 ihr Geschäft und ihren Besitz, denn das Geld benötigten sie, um sich in Palästina, das sie als Zufluchtsort wählten, eine neue Existenz aufzubauen. Dort trafen sie 1936 ein.

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