Stationiert in der Baumholder am Rande des Hunsrücks
(Die Zeichnungen sind von Franz Dietz.)
Nach wochenlangem zermürbendem Warten endet für Martha Diner die Zeit der Ungewissheit, als sie endlich von Franz ein Lebenszeichen erhielt. Auf dem Weg von Konstanza nach Mannheim konnte er am 9. Mai 1944 bei einer Fahrtunterbrechung in Freilassing/Bayern ein Telegramm aufgeben.

Da im April und Mai 1944 die Abteilung der Heeres-Küsten-Artillerie durch die Kämpfe auf der Krim erhebliche Verluste erlitten hatte, war sie nicht mehr einsatzbereit und musste „aufgefrischt“ werden. Wie alle überlebenden Soldaten meldete sich Franz Dietz vom Schwarzen Meer kommend – nur knapp den Tod entronnen – bei seiner Einheit zurück. Für ein halbes Jahr sollte Baumholder bzw. Idar-Oberstein der neue Standort seiner Einheit, der Heeres-Küsten-Artillerie, sein, bis Franz am 6. November 1944 seinen Marschbefehl an die Front in Oberitalien erhalten sollte.
In den Worten von Franz klingt es so:
„Als der kleine Rest der Krim-Armee, der dieser Hölle, diesem 2. Stalingrad, diesem großen Fiasko auf der Krịm entkam, wieder in Deutschland eintraf, wurde im Raum zwischen Nahe und Glan unsere Einheit wie bisher als Heeres-Küsten-Artillerie neu aufgestellt.“
Franz verbrachte in diesen sechs Monaten in Baumholder eine relativ schöne Zeit. Er war in seiner Heimat weit entfernt von den Kampfgebieten, aber nah seiner Familie in Darmstadt und seiner Braut Martha Diener, die in Bischmisheim bei Saarbrücken wohnte. Idar-Oberstein war nur 70 km von Saarbrücken entfernt. So konnten sich die Verliebten häufig sehen. Im Militärdienst schob er auch eine „ruhige Kugel“. Er hatte – wie in einer Stabskompanie üblich – hauptsächlich mit Büroarbeit zu tun, eine Tätigkeit, die ihm lag. Den Dienst in der Schreibstube teilte er sich mit seinem Kameraden Ewald Kappel aus Saarbrücken/Sankt Arnual. Nach dem Krieg sollte im Saarland beide Familie eine Freundschaft verbinden.

In Zeiten des Krieges, in denen ein naher Tod immer präsent sein konnte, galt es für die beiden, die privaten Angelegenheiten zu regeln. Franz und Martha waren fest entschlossen, den Bund fürs Leben einzugehen nicht ahnend, dass ihnen aufgrund der folgenden Kriegsereignisse schon bald eine Trennung von annähermd drei Jahren bevorstehen würde.
Anfang Juli 1944 verlobten sich Franz und Martha in Bischmisheim bei Saarbrücken. In einem Brief am 11. Juli 1944 bedankte sich Franz in sehr herzlichen Worten bei seiner zukünftigen verwitweten Schwiegermama Friederike Diener, die eine ausgezeichnete Köchin war, für die wunderschöne Verlobungsfeier. Es gab Kaninchenbraten, eine seltene Köstlichkeit angesichts der kriegsbedingten Lebensmittelknappheit. Die Dieners betrieben neben der Drogerie eine kleine Landwirtschaft. Sie bauten selbst Getreide und Kartoffel an, mästeten ein Schwein, hielten eine Ziege, Hühner und Kaninchen. Die Frauen in dem männerlosen Haushalt leisteten schwerste körperliche Arbeit. Unter diesen Umständen war die Versorgungslage – auch noch in der Nachkriegszeit – günstiger als in den Städten, die ständigen Bombenangriffen ausgesetzt waren.
Martha Diener geb. am 5. Okt. 1920 |
Franz Dietz geb. am 24. April 1918 |
In der Folgezeit besuchte Martha ihren Verlobten öfters in Baumholder und Idar-Oberstein, so auch am 20. Juli 1944.
Zitat Franz Dietz: „Am Tag, als Martha mich besuchte, am 20.7.44, saßen wir beim Abendessen im „Goldenen Stiefel“ als aus dem Radio die Meldung vom Attentat auf Adolf Hitler kam.“
Es fiel der Entschluss, möglichst bald zu heiraten. Daraufhin bereitete Franz die Unterlagen für die bevostehende Hochzeit vor. Er bat seine Eltern schriftlich um ihre Einwilligung und war sich ihrer Zusage sicher. Inzwischen bestand für Franz auch die Möglichkeit mit Martha zu telefonierren.

Am 10. und 11. August 1944 besuchte Martha erneut Franz in Baumholder. Details für die Hochzeit, die für den 3. September 1944 in der katholischen Hauptkriche von Darmstadt, Sankt Ludwig, festgesetzt war, wurden besprochen. Es war die Gemeindekirche der Familie Dietz, in der Vater Dietz Kirchenrechner und Organist war und seine Söhne Franz und Willy Messdiener.
Ansichten der Innenstadtkriche Sankt Ludwig
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1827 im Stil des Pantheons in Rom gebaut |
nach dem 11. September 1944 |
heute |
Nach Rücksprache mit der Familie kam man überein, angesichts der kriegsbedingten Schwierigkeiten, was die Versorgugnslage und die Reisemöglichkeiten betraf, auf ein Familienfest zu verzichten. Auf Vorschlag von Vater Wilhelm Dietz, sollten die Jungvermählten sich direkt nach der Tauung auf eine kurze Hochzeitsreise begeben. Sie fanden Unterkunft auf dem Gut des Weinlieferanten der Familie in Sankt Johann/Rheinhessen im Landkreis Bingen. Das große Hochzeitsfest mit Verwamdten und Freunden sollte – so war der Plan – in Friedenszeiten nachgeholt werden.
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In der Kirche unserer Wahl ertönten heut‘ zum letzten Mal die Hochzeitsglocken festlich, laut. Weiß erstrahlt das Kleid der Braut. Herr Klasserts Orgelspiel erklingt, Frau Hermer das AVE MARIA singt. Wir schreiten durch die Hochzeits-Schar mit Glück im Herzen zum Altar. Und im geschmückten Gotteshaus, trägt man Christi Banner uns voraus. von Franz Dietz
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(Anmerkung: Der Musiker und Organist Martin Klassert fand nur sechs Tage nach der Hochzeitsfeier zusammen mit seiner Frau und seinem Sohn den Tod in der Bombennacht.)
11.09.1944 „Nine-eleven“ in Darmstadt -Die Bombennacht
Wenige Tage nach der Hochzeit hielten sich Franz und Martha in der Altstadt-Wohnung von Elisabeth, Wilhelm und Maria Dietz, der älteren Schwester von Franz, in einem Mehrfamilienhaus in der Gervinustraße 79 auf. In der Nacht vom 11. auf 12. September mussten sie das Leid, das der von den Nationalsozialisten enfachte Krieg anderen Nationen zugefügt hatte, auf brutalste Weise am eigenen Leib erfahren.
| Der Angriffsbefehl der Briten für die Zerstörung Darmstadts im Zweiten Weltkrieg lautete: „TO DESTROY TOWN“:
Der Luftangriff mit anschließendem Feuersturm eines vom Luftmarschall Arthur Harris befehligten britischen Bombergeschwaders, das auf die systematische Zerstörung von großen Stadtflächen spezialisiert war, begann am 11. September um 23:55 Uhr. „TO DESTROY TOWN“: So lautete der Angriffsbefehl für die Zerstörung Darmstadts im Zweiten Weltkrieg. Ziel des Bomardements sollte sein, die deutsche Zivilbevölkerung zu demoralisieren, damit das Nazi-Regime seine Rückhalt verlöre. Dieser Effekt wurde gründlich verfehlt. Das Gegenteil trat ein. Angesichts der abertausend Toten und der Zerstörung von Wohnraum und Kulturgütern, die die sog. „Terrorangriffe“ (so der damalige Sprachgebrauch) über die Deutschen brachten, wurden die Wut und der Hass gegenüber den Angreifern nur noch größer. |

Darmstadts dicht besiedelte historische Altstadt wurde von den Briten als Angriffsziel ausgewählt, weil der Anteil an brennbarem Material dort ausreichend war, bestens geeignet, einen großflächigen Feuersturm zu entfachen. Die zu bombardierende Fläche im Stadtzentrum wurde zunächst durch den Abwurf von am Himmel schwebende Leuchtkörpern, sog. Christbäume, markiert.
Danach warfen die 234 Bomber der Royal Air Force hunderte Luftminen und tausende Sprengbomben ab. Die Druckwellen ihrer Detonation rissen die Dächer von den Häusern, so dass die hölzernen Dachstühle frei lagen. Danach wurden mehr als 250.000 Stabbrandbomben bestehend aus eimem leicht entflammbaren Aluminium-Magnesium-Gemisch in die aufgerissenen Dachstühle der Häuser geworfen. Diese standen innerhalb kürzester Zeit völlig in Flammen. Nach einer Stunde verschmolzen die vielen Einzelfeuer zu einem einzigen Großfeuer, einem regelrechten Feuersturm. Die Innenstadt heizte sich wie ein Ofen auf, aus dem die heiße Luft in hoher Geschwindigkeit nach oben loderte und am Boden den Sauerstoff entzog. Die Straßen der Innenstadt waren so gut wie unpassierbar und Rettungsaktionen unmöglich. 80 % der Darmstädter Altstadt fiel dieser Feuersbrunst zum Opfer. Eine genaue Zahl der Opfer ist nicht bekannt, sie dürfte zwischen 11.000 und 12.000 Männern, Frauen und Kindern liegen.
Während sich die Zerstörung im September 1944 auf die Innenstadt konzentrierte, folgte ein gezielter Angriff auf das Fabikgelände der Firma Merck an der Frankfurter Straße erst vier Monate später. Die Schwester von Franz hielt sich während des Angriffs an ihrem Arbeitsplatz bei Merck auf. Sie brichtete später, dass der Angriff ganz furchtbar gewesen sei und sie nicht glaubte, dass sie den Bombenhagel überleben würde.
Gervinusstrasse 69, Darmstadt vor dem Angriff 1944
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Peter Dietz in der Gervinusstrasse 1952 vor einer Ruine |
Franz und seine Familie schliefen bereits, als sie der Luftalarm weckte. Nur mit dem Schlafanzug bekleidet, stürzten sie aus ihrer Wohnung, um im Keller Zuflucht zu suchen. Die Druckwelle einer Sprengbombe schleuderte Franz durch das Treppenhaus. Als die Kohlen im Keller Feuer fingen, blieben nur noch die Kellerfenster übrig, um ins Freie zu flüchten. Dort brannte alles Lichterloh. In Panik rannten die Menschen in alle Richtungen und verließen in Scharen die Stadt, um im Umland Zuflucht zu finden. In dem Chaos haben sich Franz und Martha und ihre Angehörigen aus den Augen veroren. Es dauerte Tage und Wochen, bis sie in Erfahrung bringen konnten, wer zu den Lebenden gehörte und wo man sich gerade befand. Diese Ungewissheit war schier unerträglich.
Wilhelm Dietz fand Zuflucht in Nieder-Ramstadt, in der Stiftstraße 47, einer ehemaligen Kirche, die dann zur Kulturhalle wurde. Dort kannte der die Familie des Küsters Kreuzer von Sankt Ludwig. Elisabeth Dietz floh nach Niederbühl bei Rastatt zu ihrer unverheirateten Schwägerin Emma Dietz. Maria Dietz blieb in Darmstadt und arbeitete weiter bei der Pharmafirma Merck.
Franz zog sich am Körper und an den Händen Phosphorverbrennungen zu und hielt sich zusammen mit Martha zur Genesung in Bad König im Odenwald auf. Es war eine Gnade des Schicksals, dass alle Mitglieder der Familie Dietz dieses Inferno lebend überstanden.
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Die etwa 12.000 Opfer der Brandnacht vom 11. September 1944, die vielfach nicht mehr identifizierbar waren, fanden ihre letzte Ruhe in einem Massengrab auf dem Waldfriedhof. Auf den Mauern der kreisförmigen Umrandung des Gräberfeldes sind die Namen der Toten verzeichnet.
Jährlich am 11. September um 23.55, der Uhrzeit, zu der der Bombenangriff begann, läuten in Darmstadt die Kirchenglocken.

Erinnerungsveranstaltung zu 80. Jahrstag der Zerstörung Darmstadts
Abschied von Martha
Ende September 1944 wurde begonnen, die Heeres-Küsten-Artillerie Abt. 287 nach und nach dem Kommando „des Befehlshabers Operationszone Adriatisches Küstenland“ in Italien zu unterstellen. Aufgrund seiner in der Brandnacht erlittenen Verletzungen war Franz Dietz erst Anfang November 1944 einsatzfähig und bekam seinen Einsatzbefehl.
Er begab sich am 6. November 1944 noch einmal zu seiner Ehefrau Martha nach Bischmisheim, um sich zu verabschieden. Am Abend des 7. November 1944 bachte ihn seine Schwägerin Elfriede Matin in ihrem DKW zum Bahnhof in den Nachnarort Brebach, wo er gemäß seinem Marschbefehl die Reise zu seiner Einheit an die Adriaküste antrat. Wie in Kriegszeiten nicht anders zu erwarten, war es ein tränenreicher Abschied.

Abfahrt des DKWs von Elfriede Martin vor dem Wohn- und Geschäftshaus der Familie Diener in Bischmisheim
Fortsetzung – Einsatz in Italien



Gervinusstrasse 69, Darmstadt vor dem Angriff 1944
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